18.- 19. April 2024
Aktuelle Strategien zur Behandlung von Demenzen
16.11.2023 - 15:31

Aktuelle Strategien
zur Behandlung von Demenzen


Lange hatte die Medizin dem allmählichen Verfall des Geistes bei demenziellen Erkrankungen wenig entgegenzusetzen. Doch es tut sich etwas: Die Wissenschaft versteht die pathogenen Zusammenhänge immer besser, und neue Medikamente sind auf dem Weg. Besteht also Hoffnung?

Deutschland wird älter – und damit einhergehend nimmt auch die Diagnose Demenz zu: Fast jeder zehnte Bundesbürger über 65 Jahren leidet an einer demenziellen Erkrankung, insgesamt sind es rund 1,8 Million Menschen. Prognosen gehen davon aus, dass diese Zahl bis ins Jahr 2050 auf fast 3 Millionen steigen wird. Als Reaktion darauf hat die Bundesregierung 2020 eine Nationale Demenzstrategie erarbeitet, um die Lebenssituation für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen zu verbessern.

Für viele Betroffene ist die Diagnose ein Schock. Denn nach wie vor sind demenzielle Krankheiten nicht heilbar. Und schleichend seine geistigen Fähigkeiten und schließlich sogar das eigene Ich einzubüßen, erscheint vielen verständlicherweise als regelrechtes Horrorszenario.

Ein Report der „Lancet Commission“ aus dem Jahr 2020 listet insgesamt zwölf  Risikofaktoren für Demenz auf: geringere Bildung, Bluthochdruck, Hörminderung, Rauchen, Übergewicht, Depression, Bewegungsmangel, Diabetes, Alkoholkonsum, wenig soziale Kontakte, traumatische Hirnverletzungen und Luftverschmutzung. Meta-Analysen ergaben, dass diese Faktoren zusammen für etwa 40 Prozent der weltweiten Demenzerkrankungen verantwortlich sind, die somit theoretisch verhindert oder verzögert werden könnten. Die häufigste Form ist die Alzheimer-Demenz, die mindestens 60 Prozent aller Krankheitsfälle ausmacht. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer demenzieller Erkrankungen, darunter vaskuläre (gefäßbedingte) Demenzen, die Demenz mit Lewy-Körpern, die frontotemporalen Demenzen oder die Demenz bei Morbus Parkinson.

Allen Formen ist gemein, dass sich die Schädigung der Nervenzellen bislang nicht rückgängig machen lässt. Das Ziel momentaner Behandlungsstrategien ist daher, weiteren Schaden so gut es geht zu vermeiden. Hier wird unter anderem mit verschiedenen Stimulationstherapien für Körper und Geist gearbeitet, darunter Ergo- und Sporttherapie und kognitives Training. Zusätzlich können Antidementiva besonders in frühen Stadien der Krankheit helfen, die Gedächtnisleistung möglichst lange zu erhalten und Begleiterscheinungen zu mildern. Doch es fehlen einheitliche Behandlungskonzepte mit Erfolgsgarantie.

Das liegt vor allem daran, dass die Wissenschaft immer noch nicht im Detail verstanden hat, was im Gehirn von Betroffenen schiefläuft, obwohl ein wahres Heer an Fachleuten seit Jahrzehnten daran forscht. Dies gilt besonders für Alzheimer. Klar ist, dass sich im Hirngewebe der Betroffenen ein Proteinfragment namens Beta-Amyloid in Form von Plaques ablagert und gleichzeitig das Tau-Protein in den Neuronen zu gedrehten Fasern verklumpt, den Tau-Fibrillen. Darauf basierend entwickelten sich zunächst die Amyloid- sowie die Tau-Hypothesen, die die jeweiligen Proteinablagerungen als Ursache für die Erkrankung betrachteten. Inzwischen wurden die beiden Hypothesen vereint, weil sich zeigte, dass Amyloid an der Spitze einer Kaskade steht, die zur Bildung von Tau-Fibrillen führt.

Obwohl man inzwischen sehr viel über die beiden Proteine weiß, ist weiterhin unklar, wie die Plaques und Fibrillen tatsächlich mit dem Absterben von Hirnzellen zusammenhängen. Christian Behl, Professor für Pathobiochemie an der Universitätsmedizin Mainz, erforscht schon viele Jahre die biochemischen Grundlagen von neurodegenerativen Prozessen, wie sie auch bei Morbus Alzheimer vorliegen. Er hält wenig von eingleisigen Hypothesen und plädiert für diversifizierte Behandlungsstrategien. Wie sehen diese aus und welche alternativen Modelle zur Entstehung der Erkrankung gibt es? Und wieso tut sich die Wissenschaft so schwer damit, die molekularen Mechanismen des geistigen Verfalls zu entschlüsseln?

Für einen Hoffnungsschimmer in der Therapie sorgen neue Wirkstoffe, die auf die Amyloidplaques abzielen. Im Juli 2023 ließ die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA den Antikörper Lecanemab zur Behandlung von Alzheimer-Demenz zu, nachdem der Wirkstoff Ende 2022 in einer Phase-3-Studie positive Ergebnisse erbracht hatte. Weitere Medikamente werden gerade von der FDA geprüft, darunter Donanemab. Für Europa wird eine Entscheidung der europäischen Zulassungsbehörde EMA für 2024 erwartet. Wie sehr dürfen die zahlreichen Betroffenen also hoffen? Wie gut wirkt das Medikament und welche weiteren Wirkstoffe werden erprobt? Diese und andere Fragen diskutiert der klinische Alzheimerexperte Professor Dr. Richard Dodel von der Universität Duisburg-Essen.

Sorgenfalten bereitet vielen Fachleuten, dass die Medikamente unglaublich teuer sind – Lecanemab kostet mehr als 20 000 Dollar pro Patient und Jahr. Bei fast zwei Millionen Menschen mit Alzheimer in Deutschland würde das eine große finanzielle aber auch strukturelle Herausforderung für das nationale Gesundheitssystem darstellen. Dafür brauche es zeitnahe Lösungen, wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) im Juli 2023 forderte. Gemeinsam mit Berufsverbänden mahnt die DGN an, „dass nun die Gesundheitspolitik handeln muss“. Was wären die richtigen Schritte? Wie gelingt es, das die neuen Alzheimertherapien auch flächendeckend zum Einsatz kommen können? Ein Symposium getreu dem Motto: Kampf der Demenz.

 

Literatur:

Livingston, G. et al.: Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission, The Lancet 396 (10248), 413-446 (2020). https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)30367-6

Behl, C.: Alzheimer’s Disease Research - What Has Guided Research So Far and Why It Is High Time for a Paradigm Shift, Springer Nature July 2023, https://doi.org/10.1007/978-3-031-31570-1

McDade, E. et al.: Lecanemab in patients with early Alzheimer’s disease: detailed results on biomarker, cognitive, and clinical effects from the randomized and open-label extension of the phase 2 proof-of-concept study. Alzheimer’s Research & Therapy 14, 191 (2022). https://doi.org/10.1186/s13195-022-01124-2

van Dyck, C.H. et al.: Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease, The New England Journal of Medicine 388, 9-21 (2023). https://doi.org/10.1056/NEJMoa2212948

Dodel, R.: Parkinson-Krankheit und Demenz vom Alzheimer-Typ – Pathophysiologie und medikamentöse Therapieansätze. Innere Medizin 64, 113–120 (2023). https://doi.org/10.1007/s00108-022-01463-0

https://dgn.org/artikel/neue-alzheimer-therapien-stellen-gesundheitsbudget-und-versorgungsstrukturen-vor-enorme-herausforderungen