18.- 19. April 2024
3 Fragen - 3 Antworten
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3 Fragen - 3 Antworten mit Prof. Dr. Sibylle C. Roll und Prof. Dr. Martina Hahn:
"Wie können Apotheker und Psychiater zusammenarbeiten, um Arzneimittel sicher einzusetzen?"

(v.l.) Prof. Dr. Kristina Friedland, Prof. Dr. Martina Hahn, Prof. Dr. Sibylle C. Roll

Bei welchen interdisziplinären Versorgungsprojekten mit psychiatrischen Patient:innen haben Sie bisher mitgearbeitet?

Wir haben gemeinsam das Eichberger Modell, das wahrscheinlich bekannteste Projekt zu pharmazeutischer Betreuung in der Psychiatrie in Deutschland, konzipiert und implementiert. In diesem Rahmen haben wir über fast ein Jahrzehnt verschiedene Forschungsprojekte zu therapeutischem Drug Monitoring, Arzneimitteltherapiesicherheit in der Psychiatrie und Pharmakogenetik in der Psychiatrie gemeinsam beforscht. Bei den Projekten zeigte sich, dass eine sehr hohe Akzeptanz der pharmazeutischen Empfehlungen erzielt werden konnte. Und erfreulicherweise stieg dadurch die Patient:innenzufriedenheit.

Was halten Sie für die größten Vorteile einer interdisziplinären Zusammenarbeit im Bereich der Betreuung von psychiatrischen Patient*innen? 

Die Behandlung von psychiatrischen Patient*innen ist aufgrund der somatischen Komorbiditäten, Polypharmazie und Interaktionen komplex. Psychopharmaka sind zudem beratungsintensiv. Durch die unterschiedlichen Ausbildungen von Ärzt*innen und Apotheker*innen entwickeln sich Kompetenzen in unterschiedlichen Disziplinen, die durch die interdisziplinäre Kollaboration Synergien entfalten und zudem zu einer schnelleren Lösung des Problems führen. Dazu ein Beispiel: Würden Ärzt*innen bei Aufnahme für alle Patient*innen Interaktionschecks durchführen, so würde dies bei polypharmazeutischen Patienten etliche Minuten dauern. Ebenso bei einer Recherche zu Darreichungsformen o.ä. Indem solche Aufgaben delegiert werden, können Ärzt*innen diese Zeit nutzen, um medizinische Aufgaben zu übernehmen die nicht delegierbar sind. Apotheker*innen können diese Fragen durch eine Spezialisierung schneller beantworten. Das Besondere bei dieser Delegation zwischen Ärzt*innen und Apotheker*innen ist nun, dass die Qualität und damit die Arzneimitteltherapiesicherheit steigt.

Wie kann die Adhärenz der Patient:innen und damit der Erfolg der Psychopharmakotherapie noch verbessert werden? 

Adhärenzprobleme sind individuell sehr unterschiedlich. Ein Gespräch auf Augenhöhe mit den Patient:innen ist wichtig, um das Problem überhaupt zu erkennen. Dafür braucht es Beziehungsaufbau und das wiederum braucht Zeit. Gerade daran „krankt“ das Gesundheitssystem jedoch. Alles muss schnell gehen, Standardprobleme müssen mit Standardlösungen behoben werden. Gerade, wenn Sie an psychiatrische Krankheitsbilder denken, die Symptomatik oder die Alltagsprobleme der Betroffenen unterscheiden sich doch gravierend, so dass es keine Standardlösung geben kann. Es braucht also vor allem mehr Zeit - dadurch können wiederum langfristig Ressourcen im Gesundheitssystem gespart werden, da stationäre Aufnahmen durch Adhärenz verhindert werden können. Eine Hoffnung ist daher, dass die Adhärenzförderung zeitnah eine pharmazeutische Dienstleistung werden könnte, die vergütet wird. Das wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

3 Fragen - 3 Antworten mit Dr. Uwe Broch:
„Kooperationen zwischen Pharmaindustrie und Ärzte- und Apothekerschaft“

Was bedeutet Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie im Gesundheitswesen 
für Sie? 

Der Wissenstransfer zwischen forschenden Pharmaunternehmen und Ärztinnen und 
Ärzten, Fachgesellschaften und Patientenorganisationen ist ein Schlüssel für die sich 
stetig verbessernde Gesundheitsversorgung in Deutschland. Aufgrund ihrer 
wissenschaftlichen Expertise und durch den regelmäßigen Umgang mit Patientinnen und 
Patienten gewinnen Ärzte- und Apothekerschaft neue Erkenntnisse, die von 
entscheidender Bedeutung für die Erforschung und Entwicklung neuer Therapien sind. 
Repräsentantinnen und Repräsentanten von Patientenorganisationen zeigen zudem 
frühzeitig Versorgungsbedarfe auf und ergänzen den evidenzbasierten Fokus klinischer 
Forschung um Aspekte aus der Lebenswirklichkeit der Betroffenen. Durch diese 
Zusammenführung unterschiedlicher Expertisen und Perspektiven können wir im 
Gesundheitswesen viel bewegen. Die Impfstoffentwicklung im Zuge der Corona-Pandemie 
hat das erst vor Kurzem sehr eindrücklich gezeigt. 

Trotzdem wird Kooperationen mit der Pharmaindustrie oft mit Misstrauen 
begegnet. Wie können wir sicherstellen, dass die Zusammenarbeit in geregelten 
Bahnen verläuft?

Natürlich kann die Kooperation zwischen Pharmaunternehmen und Fachkreisangehörigen 
nicht im luftleeren Raum stattfinden – und das sollte sie auch nicht. Deshalb hat der FSA 
bereits 2004 Leitlinien entwickelt und in sogenannten Verhaltenskodizes für seine 
Mitgliedsunternehmen festgeschrieben. Das Regelwerk gibt vor, unter welchen 
Voraussetzungen die Pharmaunternehmen mit anderen genannten Akteuren des 
Gesundheitswesens zusammenarbeiten können und wo die Grenzen liegen. So sorgt die 
Industrie per Selbstregulierung beispielsweise dafür, dass klare Vorgaben für die 
Durchführung von Schulungen, Studienkooperationen oder Fortbildungsveranstaltungen 
gelten und dass diese eingehalten werden. Verstöße gegen die Kodizes kann jeder und 
jede bei der FSA-Schiedsstelle melden. Wird eine Regelverletzung abschließend 
festgestellt, werden entsprechende Strafen verhängt. Diese werden ebenso transparent 
veröffentlicht, wie auch die Zuwendungen der Unternehmen an Fachkreisangehörige. 

Dr. Uwe Broch

Dr. Uwe Broch von der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. (FSA) sprach im Diskussionsforum "Kooperation von Pharmaindustrie und Ärzte- und Apothekerschaft" zum Thema "Aktuelle Rechtslage und Lösungsansätze für mehr Transparenz". 

Manche Ärztekammern fordern dennoch ein Zertifizierungsverbot für Fortbildungen, die von Pharmaunternehmen veranstaltet werden. Wie begegnen Sie dieser Forderung? 

Hierzu haben wir eine klare Haltung: der Wert von wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen sollte sich an deren Inhalten und deren Mehrwert für die Teilnehmenden bemessen. Nicht daran, von wem sie durchgeführt werden. Hier sind wir wieder beim Thema Wissenstransfer. Patientinnen und Patienten vertrauen darauf, dass sie gemäß des aktuellen Stands der Wissenschaft behandelt werden. Hierfür ist der Austausch mit denjenigen, die Therapien erforschen und entwickeln, maßgeblich. Pharmaunternehmen sorgen über Fortbildungsveranstaltungen dafür, dass neue Erkenntnisse aus Forschung und Entwicklung in den Arztpraxen und Krankenhäusern – und damit bei Patientinnen und Patienten – ankommen. Die restriktive Haltung einiger Ärztekammern steht dem entgegen. In diesem Sinne waren die Urteile der Verwaltungsgerichte Hamburg und München der letzten Jahre gegen Zertifizierungsverbote eine positive Bestätigung. Als FSA werden wir uns auch weiterhin für die Vielfalt der medizinischen Fortbildung einsetzen und diesbezüglich auch den konstruktiven Austausch zwischen Mitgliedsunternehmen, Compliance-Expertinnen und - Experten sowie Vertreterinnen und Vertretern der Fachgesellschaften fortsetzen. 

3 Fragen - 3 Antworten mit Tanja Schliebe:
"Praxismanagement: Online-Marketing für Ärzte und Apotheker"

Warum digitales Marketing?

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen schreitet immer schneller voran. Patienten tauschen sich im Internet über Ärzte aus, buchen online Ihre Arzttermine und vereinbaren Videosprechstunden. Ihre potenziellen Patienten/Kunden suchen online nach Ihnen. Bereits 2012 recherchierten 60 % der Patienten ihren Arzt online. Im Jahr 2016 recherchierten 84 % der Patienten vor ihrem ersten Termin bei einem neuen Arzt. Heute ist ein Arztbesuch ohne vorherige Internetrecherche kaum noch denkbar. Positive Bewertungen und Berichterstattung werden durchweg als wichtig oder sehr wichtig erachtet, bevor ein Termin bei einem bestimmten Arzt vereinbart wird. Wenn negative Medienberichte oder Online-Bewertungen über Ärzte im Internet erscheinen, verzeichnen Arztpraxen einen Rückgang der Besuche und Anrufe in ihren Praxen um ein Drittel, was katastrophale finanzielle Auswirkungen haben kann. Die erste Seite der Google-Suchergebnisse, die mit dem Namen oder der Praxis eines Arztes verknüpft ist, ist die neue Visitenkarte.

Stellen Sie sich einen TV-Spot vor, der nicht nur eine Botschaft über Ihre Dienstleistungen ausstrahlt, sondern auch Personen mit bestimmten Erkrankungen anspricht und jeder Person, die den Spot sieht, andere Informationen bietet. Mit digitalem Marketing im medizinischen Bereich können Sie Suchmaschinenmarketing nutzen, um bestimmte Verbraucher/Patienten direkt mit Informationen anzusprechen, die für sie von Nutzen sind. Ob in Form von SEO (Search Engine Optimization) oder SEM (Search Engine Marketing), Sie können Ihre digitalen Inhalte so gestalten, dass sie genau die Menschen erreichen, die davon profitieren. Die Möglichkeit, Ihr Marketing gezielt einzusetzen, ist von unschätzbarem Wert für die Senkung der Kosten pro Patientenakquisition (CPA). Das Beste am digitalen Marketing für Ärzte und Apotheker ist vielleicht, dass es unglaublich einfach zu verfolgen ist, d. h. Sie wissen, was bei den Patienten ankommt und was nicht, und welche Strategien es wert sind, in sie zu investieren, und welche Strategien aufgegeben werden müssen.

Hon. Prof. Schliebe

Tanja Schliebe leitete das Praxisseminar mit dem Thema "Praxismanagement: Online-Marketing für Ärzte und Apotheker". 

Professionelle Homepage - was gilt es zu beachten?

Ihre Homepage ist Ihr Aushängeschild im Internet. Sie muss Vertrauen wecken und Ihre Wunschpatienten überzeugen. Ob Sie mit Ihrer Präsenz im Internet letztendlich punkten, hängt stark von den Inhalten Ihrer Webseite ab. Ihre Wunschpatienten und Wunschkunden erreichen Sie nur, wenn Sie Ihnen die Inhalte bieten, die sie interessieren. Ob Content für Ihre Webseite, Social Media oder Online-Magazine: Erstellen Sie Texte, Grafiken und Inhalte, die gefunden, gelesen und veröffentlicht werden. Einzigartige Inhalte sind ein absolutes Muss für Ihre Webseite. Nicht zu vergessen das Online-Reputationsmanagement, es sollte keinesfalls vernachlässigt werden, denn: Schlechte Bewertungen und schlechte Presseberichterstattung verschwinden nicht einfach. Negative Berichterstattung kann man zwar nicht löschen, aber man kann sie mit positiven Inhalten überdecken!

Zum einen wollen Ihre potenziellen Patienten sich auf Ihrer Praxis-/Apothekenwebseite umfassend über Ihr Behandlungsspektrum, Ihr Angebot, Ihre Methoden und Ihr Team informieren. Zum anderen benötigt Google Ihre Inhalte, um Ihre Webseite beurteilen zu können. Findet ein Patient auf der Internetseite Ihrer Praxis nicht die gewünschte Information, dann sucht er weiter. Nicht selten landet er bei der Konkurrenz. Darauf müssen Sie achten:

-          Entwicklung einer klaren und übersichtlichen Struktur
-          Optimierung der Homepage für Suchmaschinen
-          Texterstellung/hochwertiger Content
-          Responsives Webdesign
-          Einfach zu bedienendes CMS
-          Betreuung und Pflege der Website
-          Konzeption eines Tracking-Konzeptes und Messung der Online-Performance
-          Reputationsmanagement

SEO und Social Media effektiv zur Patientengewinnung?

Suchmaschinenoptimierung ist nach wie vor einer der günstigsten Wege, um neue Patienten für sich zu gewinnen. Allerdings nur dann, wenn Sie es richtig machen. Doch wie machen Sie es richtig? Stichpunkte in diesem Zusammenhang sind bessere Rankings, Onpage- und Offpage-Optimierung, Monitoring und Local SEO. Local SEO darf nicht unterschätzt werden, denn 88 Prozent der Smartphone-Nutzer suchen lokal, zum Beispiel nach einer Praxis in ihrer Nähe. Da Google jedem Nutzer das Suchergebnis liefern möchte, welches genau auf die Suchanfrage passt, bezieht Google auch den Standort des Suchenden mit ein. Das bedeutet, dass die Suchergebnisse je nach Aufenthaltsort variieren. Sucht ein Nutzer, der sich gerade in München befindet, eine Schmerztherapie, bekommt er Ärzte in München angezeigt. Was nicht alle wissen: Ärzte und Kliniken können die angezeigten Ergebnisse beeinflussen. Möglich macht das Google My Business, ein kostenloser Dienst von Google, über den alle wichtigen Informationen gesteuert werden können. Auch Ihre Google-Bewertungen laufen in Ihrem Google My Business Konto ein. Diese sollten Sie im Blick haben und auf neue Bewertungen zeitnah reagieren!

Finden Sie heraus, welche Social-Media-Kanäle für Ihre Praxis/Klinik/Apotheke sinnvoll sind und nutzen Sie diese effektiv. Die sozialen Netzwerke bieten große Chancen für Praxen, Kliniken und Apotheken. Immer mehr Menschen sind auf Facebook, Twitter, Instagram & Co unterwegs. Diese Tatsache sollten Sie auch für Ihr Marketing nutzen. Sie können die sozialen Medien beispielsweise verwenden, um Ihre Bekanntheit zu steigern, neue Kontakte und Leads zu generieren oder Patienten zu binden. Wichtig dabei ist, dass Sie Ihre Social-Media-Aktivitäten in Ihre bestehende Strategie zur Patientengewinnung und Online-Kommunikation einbinden sowie die Erfolge messen.

Die Einrichtung der erforderlichen Profile auf Facebook, Instagram, Twitter & Co. ist die Basis. Entscheidend für Ihren Social-Media-Erfolg ist aber die Pflege. Regelmäßige Beiträge mit relevanten Inhalten und schnelle Reaktionen auf Patientenstimmen trennen die Spreu vom Weizen. Wenn Ihnen im Alltag die Zeit zur Pflege Ihrer Profile fehlt, sollten Sie Social-Media weglassen oder einen Spezialisten engagieren.

3 Fragen - 3 Antworten mit Prof. Dr. Christoph Hiemke:
"Interaktionspotentiale von Pharmaka: Klinische Relevanz bei Verordnung von Neuro-/Psychopharmaka"

Gibt es Psychopharmaka, die man wegen ihres Wechselwirkungspotentials bei Kombinationsbehandlungen unbedingt vermeiden sollte?

Es gibt kein Psychopharmakon ohne Wechselwirkungsrisiko. Daher muss bei Kombinationsbehandlungen mit Psychopharmaka, insbesondere bei Polypharmazie (Verordnung von 5 Arzneistoffen und mehr) immer individuell geprüft werden, ob mit pharmakokinetischen oder pharmakodynamischen Wechselwirkungen gerechnet werden muss. Eine pharmakokinetisch besonders interaktionsträchtige Gruppe sind Antidepressiva. Die selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer Fluoxetin, Paroxetin hemmen die Cytochrom P450-Enzyme (CYP) 2D6, ebenso Bupropion. Fluvoxamin hemmt CYP1A2 und CYP2C19. Hinsichtlich pharmakodynamischer Wechselwirkungen sind insbesondere Psychopharmaka mit anticholinergen und sedierenden Eigenschaften zu beachten. Da Wechselwirkungsmechanismen bekannt und Wechselwirkungen vorhersehbar sind, gehören wechselwirkungsbedingte unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) zu den vermeidbaren Medikationsfehlern. Durch geeignete Maßnahmen, z.B. Messung der Medikamentenspiegel im Blut und Anpassung der Dosis, lässt sich eine Überdosierung vermeiden. Ein Psychopharmakon, welches man wegen seines Wechselwirkungspotentials nicht einsetzen sollte, gibt es daher nicht.

Welche Art von Wechselwirkungen sind beim Einsatz von Antiepileptika besonders zu beachten?

Lange bekannt und nach wie vor immer noch relevant sind bei vielen Antiepileptika die CYP-induzierenden Eigenschaften. Pregnan X Rezeptor-vermittelt wird die Bildung von mRNA-Spcies aktiviert, die für CYP-Enzyme codieren, vor das quantitativ wichtigste Phase 1-Enzym des Arzneistoffabbaus CYP3A4. Innerhalb von drei bis vier Tagen kommt es zu einer Neubildung von Enzym und damit zu einer beschleunigten Clearance von Arzneistoffen, die über das induzierte Enzym bevorzugt abgebaut werden. Klinisch bedeutsam ist auch, dass der induzierende Effekt abhängig von der Halbwertszeit des Enzyms anhält und dann abfällt, die so genannte Deinduktion. Im Einzelfall kann es durch Deinduktion zu einer Intoxikation kommen, wenn die Dosis nicht angepasst wurde.

Prof. Hiemke

Prof. Hiemke sprach im Symposium  "Interaktionspotentiale von Pharmaka: Klinische Relevanz bei Verordnung von Neuro-/Psychopharmaka" zu diesem Thema. 

Für die Behandlung von COVID-19 sind neue Therapeutika zugelassen worden. Ist mit bedeutsamen Wechselwirkungen mit Neuro/Psychopharmaka zu rechnen?

Bei den antiviral wirksamen Arzneistoffen wie Remdesivir oder Molnupiravir, die Nukleotidanaloga sind, ist mit keinen bedeutsamen Wechselwirkungen zu rechnen. Pharmakokinetisch bedeutsame Wechselwirkungen sind jedoch beim Einsatz von Lopinavir oder Nirmatrelvir zu erwarten, wenn Patienten mit Neuro/Psychopharmaka behandelt werden, die über die Enzyme CYP2C9, CYP2C19 oder CYP3A4 abgebaut werden. Lopinavir oder Nirmatrelvir werden zur Boosterung in Fixkombination mit Ritonavir verabreicht. Ritonavir induziert CYP2C9 und CYP2C19 und hemmt CYP3A4. Weiter ist zu beachten, dass es durch die Infektion mit SARS-CoV-2 zu einem Anstieg von Entzündungsmediatoren kommen kann (Zytokin-Sturm) mit der Folge einer verlangsamten Elimination von Arzneistoffen. Für Clozapin, Risperidon, Haloperidol, Duloxetin und Valproat gibt es Fallberichte die zeigen, dass die Blutspiegel während der COVID-19-Infektion anstiegen und Intoxikationssymptome auftraten.

3 Fragen - 3 Antworten mit Prof. Dr. Dirk Woitalla:
"Darm-Hirn-Achse und neurodegenerative Gehirnerkrankungen"

Die Darm-Hirn-Achse wurde in der Vergangenheit als unidirektionales Trajekt betrachtet. Wie ist es zu einer Änderung dieser Sicht gekommen ?

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema erfolgte in der Vergangenheit in der Tat unter der Vorstellung des Darmes, bzw. des enterischen Nervensystems als einem Zielorgan. Nach meinem Dafürhalten haben die Erkenntnisse zur Ausbreitung pathologischer Veränderungen bei der Parkinson Erkrankung eine andere Sichtweise auf das enterische Nervensystem als Ort der Primärpathologie und damit auch den Darm ermöglicht. Während zuvor die Forschung ganz wesentlich auf den Zusammenhang entzündlicher Darmerkrankungen mit funktionellen Änderungen der Hirnaktivität beschränkt war, dehnte sich in der Folge die Forschung aus. Heute diskutieren wir Zusammenhänge, die nicht nur die neuronale Verbindung in den Fokus nehmen, sondern auch die zellulären Aspekte des Immunsystems.

Bei welchen Erkrankungen spielt die Darm-Hirn Achse eine Rolle ?

Dieses relativ junge Feld der Forschung beschäftigt sich nicht nur mit den neurodegenerativen Erkrankungen, sondern auch mit den Autoimmunerkrankungen, bspw. der MS, aber auch mit vaskulären Erkrankungen wie dem Schlaganfall.

Welche Rolle wird der Darm zukünftig bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen spielen ?

Eine Prognose für die Zukunft ist angesichts vieler Fragezeichen schwierig. Es gibt bereits heute Ansätze, durch verschiedene Probiotika und Nahrungsergänzungsmittel Einfluss auf den Verlauf von Erkrankungen zu nehmen. Die Behandlung mit Propionsäure bei der MS mag hier als Beispiel dienen. Zukünftig wird die Analyse des Mikrobioms und des enterischen Systems eine große Bedeutung bei der Entstehung von Erkrankungen haben, damit eine wichtige Rolle bei der Frühdiagnose spielen und somit auch bei der Prävention neurologischer Erkrankungen.

Prof. Woitalla

Prof. Woitalla sprach im Symposium  "Ernährung, Mikrobiom und Gehirnerkrankungen" zum Thema „Darm-Hirn-Achse und neurodegenerative Gehirnerkrankungen“.