18.- 19. April 2024
Kann Künstliche Intelligenz den Arzt bei der Diagnose und Therapie von Gehirnerkrankungen ersetzen?
17.11.2023 - 13:42

Kann Künstliche Intelligenz den Arzt bei der Diagnose und Therapie von Gehirnerkrankungen ersetzen?

Diese und viele weitere Fragen erörtern die drei Vortragenden in der Auftaktveranstaltung zum Berlin Brain Summit „KI in der Diagnostik und Therapie von Gehirnerkrankungen“.

Kein Zweifel, intelligente Algorithmen werden die Gesundheitsversorgung der Zukunft prägen. Wo liegen die Chancen, Grenzen und die Gefahren von KI in Diagnose und Behandlung von neurologischen und psychischen Erkrankungen?

Künstliche Intelligenz polarisiert. Während manche den rasenden Fortschritt durch die selbstlernenden Programme in der Arbeitswelt, Medizin, Forschung und Entwicklung bejubeln, warnen andere vor Datenmissbrauch oder Behandlungsfehlern, gar vor einer Vernichtung der Menschheit durch die KI. Besonders in der Medizin liegen Euphorie und Sorge bisweilen eng beieinander: Die Stärke der KI ist, dass sie in kürzester Zeit riesige Datenmengen erfassen und analysieren kann, viel schneller als Menschen oder traditionelle Software. So ist die Technik in der Lage, Ärzte in der Diagnostik und Therapieentscheidung zu unterstützen, etwa durch die Begutachtung von medizinischem Bildmaterial oder genetischen Tests. Aber was, wenn die KI falsch liegt? Wer hat am Ende die Entscheidungshoheit über Leben und Tod und wer trägt die Verantwortung?

Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Verbesserung der Diagnostik und Therapie von Gehirnerkrankungen

Schon heute finden intelligente Algorithmen Anzeichen von manchen Krebsarten auf CT-Aufnahmen früher als Ärzte. Auf Bildern der menschlichen Netzhaut erkennt KI das Risiko für verschiedene Erkrankungen, von Augenleiden über Herzversagen bis hin zur Parkinson-Krankheit. Auch Schlaganfälle kann die Technik anhand von CT-Scans zielsicher feststellen. Auf bestimmten PET-Aufnahmen wiederum bestimmen selbstlernende Algorithmen das Tumorvolumen in einem Bruchteil der Zeit, die Ärzte dafür benötigen. Außerdem beschleunigt KI die aufwändige genetische Analyse des Tumormaterials, bei der nach krankmachenden Mutationen gesucht werden sollen. Ein spezielles KI-Werkzeug entschlüsselt zum Beispiel die DNA von Hirntumorzellen schon während der Operation. Sonst dauert dieser Prozess Tage oder sogar Wochen. Die verbesserte Diagnostik, insbesondere die genetische Analyse der Tumoren, hilft Ärzten wiederum bei der Personalisierung ihrer Therapiemaßnahmen.

Geht es nach Prof. Dr. Kerstin Ritter, Juniorprofessorin für computerbasierte Neurowissenschaften an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, sind diese Beispiele nur der Anfang. Gemeinsam mit ihrem Team entwickelt sie selbstlernende KI-Programme, die künftig eine Vielfalt an neurologischen und psychischen Erkrankungen anhand von Neurobildgebungsdaten diagnostizieren sollen – darunter Multiple Sklerose, Alzheimer oder Depression. Die Hoffnung auch hier: die Erkrankungen früher erkennen und die Behandlung besser individuell anpassen. Was leisten ihre KI-Werkzeuge schon heute und wo geht die Reise hin?

Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz aus ethischer Sicht

Zur Vorsicht beim Einsatz der KI in der Medizin mahnt unter anderem die WHO: Es bestehe die Gefahr von Behandlungsfehlern, Datenmissbrauch oder Falschinformationen über Gesundheitsthemen. Der Wirtschaftsethiker und Philosoph Prof. Dr. Christoph Lütge, Direktor des Instituts für Ethik in der KI, an der TU München, untersucht Chancen als auch Risiken, die sich durch die Verwendung von KI-Techniken ergeben. Welche Macht wollen wir den Algorithmen geben? Wie könnte das Zusammenspiel zwischen Arzt und KI in Zukunft aussehen? Daneben stellt sich die Frage des Datenschutzes, weil viele Informationen, auf die sich die intelligenten Algorithmen stützen, personenbezogen sind. Lütge fordert einen internationalen Austausch über Konzepte und Ideen, wie sich KI am besten einsetzen und gleichzeitig länderübergreifend regulieren lässt.

Regulatorische und Datenschutz-rechtliche Anforderungen zur Anwendung von KI in der Medizin

Die regulatorischen und datenschutzrechtlichen Anforderungen an innovative Medizinprodukte – darunter KI-Anwendungen – erforscht Prof. Dr. Stephen Gilbert, Professor für Medical Device Regulatory Science am Else Kröner Fresenius Zentrum für Digitale Gesundheit der Technischen Universität Dresden. Besonders treibt ihn die Frage um, wie man solche Werkzeuge schneller in der Patientenversorgung bringen kann. Gilbert und sein Team arbeiten dazu unter anderem an automatisierten Methoden, mit denen sich Medizinprodukte rasch und einfach auf regulatorische Vorgaben testen lassen. Die Devise lautet also stets: Einerseits das umfangreiche Potenzial der KI so schnell wie möglich nutzen und andererseits die damit einhergehenden Gefahren minimieren. Wie kann dieser Spagat gelingen?

 

Literatur:

Mikhael, P. G. et al.: Sybil: A Validated Deep Learning Model to Predict Future Lung Cancer Risk From a Single Low-Dose Chest Computed Tomography, Journal of Clinical Oncology 41(12), 2191-2200 (2023). https://ascopubs.org/doi/abs/10.1200/JCO.22.01345

Zhou, Y. et al. A foundation model for generalizable disease detection from retinal images, Nature 622, 156-163 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06555-x

Gutsche, R. et al.: Automated Brain Tumor Detection and Segmentation for Treatment Response Assessment Using Amino Acid PET, Journal of Nuclear Medicine 64 (10), 1594-1602 (2023). https://doi.org/10.2967/jnumed.123.265725

Nasrallah, M. P. et al.: Machine learning for cryosection pathology predicts the 2021 WHO classification of glioma, Med 4 (8), 526-540.e4 (2023). https://doi.org/10.1016/j.medj.2023.06.002

Sun, J. et al.:Artificial intelligence in psychiatry research, diagnosis, and therapy, Asian Journal of Psychiatry 87 (2023),  https://doi.org/10.1016/j.ajp.2023.103705